Die Vereinigung Rostocker Künstler (V.R.K.) hat in den knapp eineinhalb Jahrzehnten ihrer eigenständigen und unabhängigen Existenz und Wirkens die Kunstszene der Stadt zwischen dem Ende des 1. Weltkrieges und der Machtübernahme der Nationalsozialisten wesentlich bestimmt. Wer in jenen Jahren in der Rostocker Künstlerschaft Rang und Namen hat und sich einem allgemeinen künstlerischen Neuanfang aktiv widmen will, engagiert sich in dieser städtischen Künstlervereinigung, deren Existenz- und Wirkungsbedingungen sich von den ländlichen Künstlerkolonien der Umgebung in Ahrenshoop und Schwaan deutlich unterscheiden. Hier geht es nicht um Zurückgezogenheit in sonntägliche Naturidylle. Hier herrschen wirtschaftlicher Mangel und Wohnungsnot und Existenzen, gerade auch die künstlerischen, werden durch ökonomische Turbulenzen immer wieder vor Probleme gestellt. Malausflüge in die umgebende Naturlandschaft gibt es dann aber doch reichlich und einige Mitglieder der V.R.K. sind häufig Malgäste auf dem Fischland oder Mitglied der Künstlerkolonie in Schwaan (→Bartels, →Venzmer), andere besitzen schließlich bald eigene Häuser in Ahrenshoop (→Balzer, →Oberländer, →Butzek) bzw. beziehen alljährlich ihre Sommerquartiere auf dem Fischland (→Gimpel, →Tschirch, →Helm) und können zum Umfeld der zweiten Generation der Ahrenshooper Künstlerkolonie gerechnet werden.

In Rostock, ihrer Heimatstadt, in der einige von ihnen geboren werden, aufwachsen und sich nach der künstlerischen Ausbildung als Kollegen wiederfinden (u.a. →Gimpel, →Kühn, →Oberländer, →Scheel, →Tessenow, →Tschirch und →Venzmer), wollen sie mit der Gründung einer Künstlervereinigung einen erklärten Beitrag zur „Vermittlung zwischen Künstler und Publikum“ leisten, wie in der Ansprache zur Eröffnung des „Rostocker Künstlerheims“ in der Moltkestr. 19 am Sonntag, dem 20. Juli 1919 verkündet wird. Man bietet seine Mitwirkung zur Förderung des Kunstlebens und zur künstlerischen Gestaltung der Stadt an, nimmt aber gleichzeitig die Stadt selbst in die Pflicht, die bildende Kunst in ihren Mauern zu pflegen und zu fördern. Die acht ausstellenden Künstler (→Balzer, →Eulert, →Gimpel, →Hübner, →Kühn,→Oberländer, →Sieger und →Tschirch) gehören zu den Gründervätern der V.R.K.. Egon Tschirch hatte mit tatkräftiger Unterstützung des Verlegerfreundes und Kunstmäzens Peter E. Erichson maßgeblich die Initiative zur Vereinsgründung übernommen, Thuro Balzer wird für die ersten drei Jahre deren Vorsitzender.

Porträt Peter E. Erichson  ꓲ  Egon Tschirch  ꓲ  1919  ꓲ  © Hinstorff Verlag Rostock

Tschirch hat auch das vieldeutige Signet der Vereinigung entworfen: ein auf einem Chamäleon reitender Frauenakt. Seine Freundschaft zu Erichson sorgt dafür, dass die V.R.K. für einige Monate in dessen Villa in der Moltkestrasse Ausstellungsräume beziehen kann. Schon zu Beginn des Jahres 1920 allerdings muss man sich um neue Ausstellungsmöglichkeiten kümmern, da die Räume in der Erichson-Villa auf Grund der grassierenden Wohnungsnot geräumt werden müssen. Es kommt zu einem langfristigen Vertrag mit dem Kunstverein zu Rostock über die Nutzung seiner Räume im Städtischen Museum, über deren Eignung allerdings lange gestritten wird. Erst 1925 kann dieses Problem mit der endgültigen Zusage der zukünftigen Nutzung des Oberlichtsaales für V.R.K. – Ausstellungen befriedigend gelöst werden.

Die rege Ausstellungstätigkeit, die jährlichen Frühjahrsausstellungen und wiederholte „Gastspiele“ in Nachbarstädten wie Güstrow, Wismar, Schwerin oder Bad Doberan befördern ein progressives Klima der sich entwickelnden Kunstszene und machen Rostock zum Zentrum der aktuellen Kunst in Mecklenburg. Der „Rostocker Anzeiger“ berichtet regelmäßig und erläutert bemerkenswerte Entwicklungen in seinen Rezensionen. Nachimpressionistische Tendenzen in der Landschaftsmalerei (→Bartels, →Balzer, →Kühn) werden hervorgehoben, wie expressionistische Exkursionen (→Gimpel, →Tschirch) oder neusachliche Entwicklungen bei Oberländer und der Bauhausschülerin Dörte Helm. Unter den wenigen Bildhauern die in Rostock ansässig sind, ragt Margarete Scheel heraus, deren an Art déco und Expressionismus orientierte Figurengestaltung vor allem in der Einbindung in moderne Architektur Wirkungsfelder im Stadtbild gewinnt.

Bemerkenswert ist die Mitgliedschaft von gleich sechs Architekten im V.R.K. (→Boy, →Butzek, →Eulert, →Nicolai, →Ruff und →Wagner). Bruno Wagner übernimmt 1922 bis 1929 den Vorsitz der Vereinigung von Thuro Balzer. Der gebürtige Rostocker Heinrich Tessenow, eine Lichtgestalt des neuen Bauens in Deutschland, kann als Ehrenmitglied gewonnen werden. Rostock erlebt seit Mitte der 1920er Jahre und zum Ende des Jahrzehnts eine rege Bautätigkeit, in der aktuelle und zukunftsweisende Richtungen der Gegenwartsarchitektur bis hin zum Bauhaus aufgenommen und Maler und Bildhauer in deren Gestaltung einbezogen werden (u.a. Doppel-Lyzeum, heute Goethe-Gymnasium, Klinikbauten und Kurhaus Warnemünde mit Arbeiten von →Gimpel und →Helm). In einigen Jahresausstellungen der V.R.K. werden den Architekten folgerichtig Sonderkabinette für ihre Entwurfszeichnungen und Architekturmodelle zugestanden. 1928 gilt den Architekten in der V.R.K. eine umfangreiche Sonderschau, unter ihnen Bruno Wagner, Ernst K. Boy und Walter Butzek. Ehrengast ist, nahezu programmatisch, der bedeutende Berliner Architekt Erich Mendelsohn, der 1920 den berühmten avantgardistischen Potsdamer Einsteinturm entworfen hatte.

Die Ausstellungen der Rostocker Künstlervereinigung werden in der Regel nur mit spärlichen, zumeist unbebilderten Faltblättern begleitet. Als die Frühjahrs- und Wanderausstellung 1926 mit großem Erfolg gezeigt wird, ergibt sich endlich die Gelegenheit für ein ausführliches →Katalogheft, das 1927 als Veröffentlichung des Kunstarchivs im Verlag G.E. Diehl / Berlin erscheint. 16 Mitglieder der V.R.K. werden mit je einem Werk ganzseitig abgebildet, der Kunstkritiker Leo Bruhns hatte das Geleitwort geschrieben, der Kunsthistoriker Oscar Gehrig den ausführlichen Begleittext. Bruhns grenzt die V.R.K. entschieden gegen eine andernorts herrschende „Heimatkunst“ ab (Worpswede); deren „Flucht aus der Welt“ und „Verkapselung in hausbackene Enge“. Denn die Künstler der V.R.K. „schließen sich gegen gar nichts ab, sondern stellen sich mittenhinein in das ungestüme Wehen des vordersten Zeitgeistes“. Oscar Gehrig nennt sie „eine Sezession in kleinem Rahmen und künstlerischem Ausmaß“.

1929 übernimmt der Aquarellist Rudolf Schmidt-Dethloff das Amt des Vorsitzenden. Als Gäste der V.R.K. können sich u.a. 1930 Alfred Partikel und 1933 Kate Diehn-Bitt dem Rostocker Kunstpublikum mit Kollektionen ihrer Malerei vorstellen. Im Jahr der Machtübernahme der Nazis 1933 allerdings und mit der beginnenden nationalsozialistischen Vereinnahmung der Künstlervereinigung wird dem Gründungsmitglied Bruno Gimpel mitgeteilt, dass man dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ beigetreten sei und er als Jude nun die Ausstellungen der V.R.K. nicht mehr beschicken darf. Die meisten Mitglieder richten sich unter den neuen Verhältnissen ein. Einige laufen mit, andere retten sich in die Unverbindlichkeit von Themen und Bildsprachen. Noch bis 1936 finden Frühjahrsausstellungen unter der Bezeichnung „Vereinigung Rostocker Künstler“ statt. Ein Jahr später wird durch den Vorsitzenden des gleichgeschalteten Mecklenburgischen Künstlerbundes, dem aus Rostock stammenden Maler Paul Wallat, die Auflösung der V.R.K. und die Übernahme ihrer Künstler verkündet. Einige Mitglieder (→Balzer, →Venzmer, →Diehn-Bitt ) finden sich nach 1945 in der Rostocker Gruppe bildender Künstler im „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung“ zu einem Neubeginn zusammen.

Zum 100. Gründungsjubiläum der V.R.K. startete der Kunstverein zu Rostock 2018 eine Ausstellungsreihe, die jedes Jahr ein anderes Mitglied der Gruppe in den Dialog mit zeitgenössischen Künstlern treten lässt. →AKTUELLES

Autor: Klaus Tiedemann.

Literatur:

„Bildende Kunst in Mecklenburg 1900-1945“. Heidrun Lorenzen und Volker Probst (Hg). Wolf Karge ‚Künstlervereinigungen 1900 bis 1933‘. Hinstorff Verlag 2010

weitere Informationen:

100 Jahre V.R.K. im Kunstverein zu Rostock 2018

wikipedia-Eintrag zur V.R.K.